Könige unter sich: Michael Tombült (links, Schützenverein Welbergen), Nicole Kortendiek (Damenschützenverein Ochtrup) und Gerrit Thiemann (Alt und Jung Ochtrup) haben alle schon mal den Vogel in ihren Schützenvereinen abgeschossen. Foto: Anke Laumann

Könige über den Reiz des Schützenfestes

Ein sehr schöner Bericht in der WN über das König sein :-).

Diese drei haben den Vogel abgeschossen: Michael Tombült, Nicole Kortendiek und Gerrit Thiemann waren oder sind Schützenkönige. Im Interview sprechen sie über Spontaneität unter der Vogelstange, Höhepunkte ihrer Regentschaft und darüber, was das alles kostet.

Wie verrückt muss man sein, um Schützenkönigin oder Schützenkönig zu werden?

Michael Tombült: Gar nicht verrückt! Man muss begeistert sein.

Gerrit Thiemann: Verrückt ist man, wenn man nicht schießt.

Tombült: Verrückt sind Leute, die den Vogel abschießen und dann merken, dass sie Probleme damit haben.

Nicole Kortendiek: Und die dann weglaufen. (lacht)

Tombült: Der diesjährige Silberkönig in Welbergen ist König geworden, weil der Vogel wieder aufgehängt werden musste. Der, der den Vogel abgeschossen hatte, hatte keine Königin und hat gesagt: „Ich tu’s nicht.“ Das ist jetzt 25 Jahre her. Diese Leute sind verrückt. Aber nicht die, die Schützenkönig werden wollen.

Kortendiek: Man muss sich im Klaren sein: Wenn man sich dahinstellt und schießt, kann man es auch werden.

Thiemann: Das geht schneller als gedacht.

Herr Thiemann, Sie sind der Jüngste, der in Amt und Würden ist. Wie lebt es sich als Schützenkönig?

Thiemann: Sehr gut, es macht Spaß. Ich habe drei Sekunden gebraucht, um zu realisieren, dass der Vogel gefallen ist. Dann habe ich es nur noch genossen – bis zum heutigen Tag. Es gab keinen Moment, in dem ich dachte: „Was hast du dir da eigentlich angetan?“ Ich hatte das Glück, dass meine bessere Hälfte sehr gut mitgezogen hat.

Kortendiek: Wenn man die Familie hinter sich stehen hat, macht es einfach Spaß mit den Leuten zu feiern. Beim Damenschützenverein kann jede den Vogel herunterholen. Bei uns muss man auch nicht groß Geld in der Tasche haben.

Seit Jahren wird gesagt: Wer König werden will, braucht ordentlich Kohle. Wie ist es nun wirklich?

Tombült: Es gibt Unterschiede in den Vereinen. Bei Alt und Jung gibt es einen Königsring, mit dem am Vorabend gesammelt wird. Bei uns bringen die Gäste ein Geschenk mit. Übers Jahr hat man es selbst in der Hand. In Welbergen gibt es feste Regeln. Da kann ich als König kein Fass Bier ausgeben. Es gab Zeiten, in denen es in anderen Vereinen eskaliert ist. Dann hat man die Regeln geändert.

Thiemann: Vor meiner Zeit hat jemand gesagt „Leute, ich mache das jetzt, aber ich werde es nicht so bezahlen, wie ihr das so fordert“. Das war eine Kehrtwende, die dem Verein gutgetan hat. In der Jungen Garde bei uns im Verein sind 80 bis 100 Jungschützen. Wir machen einen Junge-Garde-Ring. Jeder, der will, kann unterschreiben, und gibt dann einen Obolus rein, falls es jemand von den Jungschützen wird. Es ist also nicht mehr so teuer wie früher. Ich habe mein Fest mit Begeisterung bezahlt.

Wie war das, als Sie Königin und König wurden? War es eine spontane Entscheidung? Haben Sie das mit ihrer Familie besprochen?

Kortendiek: Nein. Unser nächster Nachbar hat an dem Tag seinen 50. Geburtstag gefeiert. Die Nachbarn waren alle auf seinem Fest. Ich war beim Schützenfest und wollte einfach mal schießen. Dann kam immer mehr die Lust – und hier und da ein Schnaps. Dann habe ich den Vogel runtergeholt. Die Nachbarn kamen vom Geburtstag rüber ins Zelt und wir haben weitergefeiert.

Tombült: Ich hab im März oder April zu meiner Frau gesagt, ich könnte mal wieder mitschießen. Wir waren 13 Leute, immer der Reihe nach. Bei so vielen Schützen ist es nicht selbstverständlich, dass man es wird. Die Leute freuen sich dann mit einem, weil man ein Stück Holz da runtergeholt hat. Das ist ein Erlebnis! Es ist total schön. Man wird getragen von einer Welle. Ich hab meinen Töchtern gesagt, wenn Papa mal alt und dement im Altenheim sitzt, erzählt ihm vom Schützenfest. Dann ist er wieder gut zufrieden.

Thiemann: Einen Monat vorher habe ich zu Hause gesagt: „Ich mache das.“ Papa antwortete: „Wehe, du machst das, du bist noch so jung.“ Meine Familie stand beim Vogelschießen bildlich hinter mir. Papa hatte nach mir geschossen. Eigentlich wollte er nicht schießen, aber er hat nur zu meiner Mama gesagt: „Ich muss es ja irgendwie verhindern.“ Ein paar Wochen später kann ich sagen: Hat er nicht geschafft, aber er hat sich dann auch sehr gefreut und das ganze Programm mitgemacht. Es war sehr spontan, aber ich würde es wieder machen.

Was gehört bei Ihnen zu den Verpflichtungen eines Königs?

Tombült:  In Welbergen muss oder darf der König auf den Wagen. Da ich ein alter Karnevalist bin, habe ich das sehr genossen. Und man besucht Nachbarvereine. Aber man hat nicht jedes zweite Wochenende eine Verpflichtung und muss sich schick machen. Es ist auch kein Bahnhof, wenn man sagt: „Ich kann da nicht, ich hab was anderes.“

Thiemann: Ich würde gar nicht sagen, dass das Pflichten sind, sondern man hat die Ehre, da mitmachen zu dürfen. Das macht einfach Spaß, mit anderen Leuten bei den Nachbarvereinen in Kontakt zu kommen.

Kortendiek: Große Verpflichtungen haben wir nicht. Man muss einen Vogel besorgen. Zu Hause lädt man zum Vogeltaufen ein. Ich hatte das Glück, dass wir in dem Jahr das Dreigestirn gestellt haben. So durfte ich zu jeder Karnevalsveranstaltung mit. Das war sehr schön.

Wie haben Nachbarn und Freunde reagiert?

Thiemann: Wenn man mal in Ochtrup ist, wird gesagt: „Ah, das ist der König, der König.“ Man wird beglückwünscht. Das ist halb so schlimm. Man muss sich dran gewöhnen, dass der ein oder andere Vorstandskollege einen mit „Hallo mein König“ am Telefon begrüßt. Ich bestehe da nicht drauf, bin aber auch der Letzte, der sagt: „Hört auf, hört auf“.

Kortendiek: Bei Versammlungen wird man als Königin offiziell begrüßt.

Tombült: Morgens im Dorfladen wird man die ersten paar Wochen mit „Hallo König“ begrüßt. Ein bisschen Rampensau muss man sein, wenn einem so gehuldigt wird.

Ochtrup ist eine Schützenfeststadt. Doch von außen können Schützenvereine seltsam wirken: Marschieren in Uniformen, auf einen Holzvogel schießen, einem König huldigen, viel Alkohol. Wie würden Sie Außenstehenden erklären, warum Schützenfeste toll sind?

Tombült: Warum ist Karneval toll? Die Vereine in Ochtrup sind alle 300, 350 Jahre alt. Wir sind als Bürgerwehr entstanden. Alt und Jung, Horst und Wall, Oster, die Außenbereiche. Die anderen Vereine, die 100, 120 Jahre alt sind, haben sich daraus gebildet. Der Grundstock ist Geschichte.

Thiemann: Eine Situation bringt es für mich auf den Punkt. Ich stand beim Schützenfest an der Theke und habe mir was zu trinken bestellt. Links neben mir stand meine Großcousine, die Anfang 20 ist. Rechts neben mir stand Walter Lenz, der ein sehr guter Freund meiner Oma war. Der ist Ende 80. Ich konnte in dieser Situation mit beiden Generationen reden. Ich musste dafür nicht auf zwei Events gehen.

Kortendiek: Bei uns ist eine dabei, die es seit der Vereinsgründung 1997 probiert, Königin zu werden. Die hat es bis jetzt immer noch nicht geschafft. Die kommt immer um 12 Uhr in schwarzen Klamotten und gratuliert der Königin, in Trauer, dass sie es immer noch nicht geschafft hat.

Ochtrup hat viele verschiedene Schützenvereine. Manche haben Probleme, Könige zu finden. Wäre es nicht mal an der Zeit, sich zusammenzutun?

Thiemann: Es ist immer sehr interessant, bei Gastvereinen zu sein und zu schauen, was die für Traditionen haben. In ein, zwei Punkten könnte man enger zusammenrücken. Aber jeder Verein hat das Recht, seine Traditionen fortzusetzen. Die machen es aus. Wir feiern zum Beispiel samstags und sonntags noch im Anzug. Aber es gibt Punkte, die muss man überdenken, wie die Vereinsbezirke oder die Jugendarbeit. Ein großes Lob an dieser Stelle an Karl-Hermann (Kalli) Gausler. Der hat früh erkannt, dass wir junge Leute brauchen und das Junge-Garde-Team ins Leben gerufen.

Kortendiek: Man muss neue Ideen haben und man muss auch manchmal umstrukturieren. Wir haben jetzt darüber abgestimmt, dass auch 16-Jährige eintreten dürfen. Die zahlen bis sie 18 sind keine Mitgliedsbeiträge. Damit die reinschnuppern können wie es bei uns so läuft. Das ist eine gute Idee.

War König und Königin werden ein Kindheitstraum?

Tombült: Bei mir war es ein Traum. Ich war 13, als mein Vater König war. Ich war stinksauer, weil ich nicht mitfeiern durfte. Meine beiden Töchter sind jetzt erwachsen, die haben das letztes Jahr genossen. Das ist schön.

Thiemann: Mir wurde das Thema Schützenfest in die Wiege gelegt. Ich kenne das, seit ich ein kleines Kind war. Ich habe meinen Patenonkel als König abgelöst. Mein Papa war zehn Jahre lang Vorsitzender, es war immer jemand aus der Familie im Festvorstand oder Vorstand. Ich würde nicht sagen, dass das ein Traum war. Es war mehr der Gedanke: „Ja, irgendwann wirst du es“. Die Frage ist, wann. Dass es so sein würde, habe ich unterschätzt.

Tombült: Mein Opa, den ich nicht mehr kannte, war 1926 bei Alt und Jung König. Mein Vater war 1982 König. Mein Cousin war in einem anderen Schützenverein König, ich bin König. Wenn man mit Familien und Freunden beim Schützenfest zusammensteht, ist das einfach gut.

Thiemann: Schützenfest versteht man wohl nur, wenn man einen Bezug über Freunde, Familie oder Bekannte hat.

Mit dem Blick zurück: Würden sie den Vogel wieder abschießen?

Tombült: Ja, aber nicht ein zweites Mal als Kaiser.

Kortendiek: Ich würde es auch nochmal machen. Das ist eine Erfahrung wert.

Thiemann: Auf jeden Fall, ich würde es immer wieder machen. Wenn ich es dieses Jahr nicht gemacht hätte, würde ich da nächstes Jahr stehen. Um es in den Worten meines Obersts zu sagen: Wenn du meinst, dass du drauf bist, lass ihn fliegen.